Kraftfahrzeuge für den Transport von Waren – Unterpositionen 8704 10 10 und 8704 21 91

Auszug aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (sechste Kammer) vom 22. Februar 2018, Az.:RS C-545/16.

Tenor:

Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Durchführungsverordnung (EU) 2015/221 der Kommission vom 10. Februar 2015 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur berühren könnte.

Zu den Vorlagefragen

Die beiden Fragen des vorlegenden Gerichts, die zusammen zu prüfen sind, betreffen im Wesentlichen die Gültigkeit der Verordnung 2015/221.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Rat der Europäischen Union der Kommission, die mit den Zollsachverständigen der Mitgliedstaaten zusammenarbeitet, ein weites Ermessen bei der näheren Bestimmung des Inhalts der Tarifpositionen, die für die Einreihung einer bestimmten Ware in Frage kommen, eingeräumt hat. Die Kommission hat jedoch aufgrund ihrer Befugnis zum Erlass von Maßnahmen gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 2658/87 nicht das Recht, den Inhalt oder die Tragweite der Tarifpositionen zu ändern (Urteil vom 4. März 2004, Krings, C-130/02, EU:C:2004:122, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die Kommission dadurch, dass sie das in Spalte 1 der Tabelle im Anhang der Verordnung 2015/221 bezeichnete Fahrzeug für Zwecke der zollrechtlichen Tarifierung in die Unterposition 8704 21 91 und nicht in die Unterposition 8704 10 eingereiht hat, den Inhalt dieser beiden Unterpositionen des Zolltarifs geändert hat.

Hierzu ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteile vom 27. April 2006, Kawasaki Motors Europe, C-15/05, EU:C:2006:259, Rn. 38, vom 29. Oktober 2009, Dinter und Europol Frost-Food, C-522/07 und C-65/08, EU:C:2009:663, Rn. 29, sowie vom 22. Dezember 2010, Premis Medical, C-273/09, EU:C:2010:809, Rn. 42).

Zudem kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er dieser Ware innewohnt, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen muss (Urteil vom 22. März 2017, GROFA u. a., C-435/15 und C-666/15, EU:C:2017:232, Rn. 40).

Im vorliegenden Fall ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Spalte 1 der Tabelle im Anhang zur Verordnung 2015/221 in Bezug auf die Unterposition 8704 21 91, dass das von ihr erfasste Fahrzeug ein neues Nutzfahrzeug mit Vierradantrieb, mit einem Nettogewicht von etwa 630 kg, einer ungebremsten Anhängelast von 750 kg und Abmessungen von etwa 300 × 160 cm ist. Es verfügt über eine offene, mit einem vollständigen Überrollkäfig ausgestattete Kabine mit zwei Sitzen, eine aus einem starken Stahlrahmen gefertigte Ladefläche mit einem robusten Flachbett- Kippaufbau, eine manuelle Kippvorrichtung, geländegängige Erdbewegungsreifen, eine Anhängerkupplung und eine Frontkupplung. Das Fahrzeug hat eine begrenzte Geschwindigkeit von 25 km/h und eine hohe Bremskapazität. Es ist für die Verwendung im Gelände, insbesondere in sehr unwegsamem Gelände, konstruiert. Es ist zur Verwendung für eine Reihe von Funktionen bestimmt, beispielsweise zum Ziehen von Anhängern, Verbringen von Tieren sowie zum Befördern von Pflanzen, Kisten, Wasser, Ausrüstung, Munition oder Futtermitteln.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die zur Unterposition 8704 10 gehörenden Waren nach deren Wortlaut „Muldenkipper (Dumper), ihrer Beschaffenheit nach zur Verwendung außerhalb des Straßennetzes bestimmt“ sind. Nach diesem Wortlaut muss ein Fahrzeug folglich zwei Voraussetzungen erfüllen, um so eingereiht werden zu können, und zwar muss es sich um einen Muldenkipper handeln, und es muss zur Verwendung außerhalb des Straßennetzes gebaut sein (Urteil vom 16. September 2004, DFDS, C-396/02, EU:C:2004:536, Rn. 31).

Wie die Kommission selbst bestätigt, erfüllt das von der Verordnung 2015/221 erfasste Fahrzeug die Bedingung der Verwendung außerhalb des Straßennetzes, weil es mit geländegängigen Erdbewegungsreifen ausgestattet ist und seine Geschwindigkeit auf 25 km/h begrenzt ist.

Zu prüfen bleibt, ob ein solches Fahrzeug auch die Eigenschaft als Muldenkipper aufweist.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Unterposition 8704 10 der KN eine spezifische Position für Fahrzeuge ist, die speziell für den Transport und das Entladen von Schüttgut außerhalb des Straßennetzes gebaut sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Januar 2007, B.A.S. Trucks, C-400/05, EU:C:2007:22, Rn. 36), und dass ein wesentliches Merkmal der Muldenkipper das Vorhandensein einer Kippmulde oder eines Aufbaus mit Klappboden ist, der den Transport dieses Materials ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. September 2004, DFDS, C-396/02, EU:C:2004:536, Rn. 32).

Des Weiteren gehören gemäß den Erläuterungen zur KN zu den Unterpositionen 8704 10 10 und 8704 10 90 insbesondere Fahrzeuge, die speziell für die Beförderung von Sand, Kies, Erde und Gestein, d. h. von losem Material, in Steinbrüchen und Bergwerken oder auf Baustellen (zum Bau von Straßen, Flugplätzen und Häfen) konstruiert sind.

Zu prüfen ist daher, ob das von der Verordnung 2015/221 erfasste Fahrzeug speziell für eine solche besondere Verwendung konstruiert ist.

Insoweit geht schon aus dem Wortlaut der Verordnung hervor, dass ein solches Fahrzeug über eine offene Kabine und über eine Kippmulde mit einem Fassungsvermögen von 0,4 m3 oder etwa 400 kg verfügt.

Somit ist das von der Verordnung 2015/221 erfasste Fahrzeug aufgrund seiner geringen Robustheit, seines begrenzten Fassungsvermögens und seiner offenen Kabine, die dem Fahrer keinen Schutz gegen das lose Material bietet, zur Verwendung für eine Reihe von Funktionen des Transports verschiedener Gegenstände wie Pflanzen oder Tiere, Ausrüstung, Kisten oder Munition bestimmt.

Ferner kann dieses Fahrzeug angesichts seiner technischen Eigenheiten und seiner objektiven Merkmale nicht mit den zur Unterposition 8704 10 gehörenden Fahrzeugen gleichgesetzt werden, weil es nicht über die erforderliche Robustheit für eine Verwendung auf Baustellen verfügt, die für Muldenkipper charakteristisch ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Januar 2007, B.A.S. Trucks, C-400/05, EU:C:2007:22, Rn. 35).

Folglich kann der Umstand, dass ein solches Fahrzeug über eine Kippmulde verfügt, die es ihm zusätzlich ermöglicht, geringe Mengen an losem Material zu befördern, die Begründetheit seiner Einreihung in die Unterposition 8704 21 91 nicht in Frage stellen.

Schließlich verfügt die Kommission, worauf in Rn. 23 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, über ein weites Ermessen bei der näheren Bestimmung des Inhalts der Tarifpositionen.

Da die Prüfung der dem Gerichtshof vorgelegten Akte nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Verordnung 2015/221 berühren könnte, wurde mit ihr das darin beschriebene Fahrzeug zu Recht in die Unterposition 8704 21 91 und nicht in die Unterposition 8704 10 eingereiht

(Stand: 01.03.2018)

Quelle: EuGH