Präferenzen im Pan-Euro-Med-Raum

Neue Ursprungsprotokolle und alternative Ursprungsregeln

Datum: 30.08.2021

Die mehrjährigen Verhandlungen der EU mit ihren Partnerstaaten im Paneuropa-Mittelmeerraum über die Modernisierung und Änderung der derzeit geltenden Ursprungsregeln des Regionalen Übereinkommens verfolgten das Ziel, einen einzigen Revisions-Rechtsakt abzuschließen. Wegen der ablehnenden Haltung einiger Vertragsstaaten gelang dies nicht. Um der Mehrheit der unterstützungswilligen Vertragsstaaten dennoch die Nutzung modernisierter und vereinfachter Ursprungsregeln zu ermöglichen, werden nunmehr die Ursprungsprotokolle der jeweiligen bilateralen Abkommen mit einem alternativ anwendbaren Regelwerk ergänzt. Diese “Übergangsregeln” der neuen Anlage A können bis auf Weiteres optional zu den bestehenden Ursprungsregeln des Regionalen Übereinkommens angewandt werden.

Zunächst wurde im Amtsblatt der EU Nr. L 164 vom 10. Mai 2021 das neue Ursprungsprotokoll zum Präferenzabkommen der EU mit Jordanien veröffentlicht.

Amtsblatt der EU Nr. L 164 vom 10. Mai 2021

Dieses Ursprungsprotokoll gilt ab dem 1. September 2021. Die Veröffentlichung der entsprechend angepassten Ursprungsprotokolle zu weiteren Abkommen wird für die nahe Zukunft erwartet. Nach derzeitigem Stand können ab dem 1. September 2021 auch im Warenverkehr der EU mit der Schweiz, den Färöer-Inseln und Albanien die alternativen Ursprungsregeln zur Anwendung kommen. In den nächsten Monaten ist mit dem In-Kraft-Treten neuer Ursprungsprotokolle zu den Abkommen mit den meisten der Länder im Paneuropa-Mittelmeerraum zu rechnen – diese Länder werden als “anwendende Vertragspartei” (“applying Contracting Party“) bezeichnet. Welche Länder die Übergangsregeln untereinander konkret anwenden können, wird sich nach Mitteilung der EUK aus einer gesonderten Matrix ergeben, die im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden wird. Diese ist im Hinblick auf die Inanspruchnahme der neuen Präferenzbestimmungen bzw. Anwendungsmöglichkeiten in jedem Fall vorab zu konsultieren.

Wahlrecht – aber keine Durchlässigkeit

Die Bestimmungen des Regionalen Übereinkommens bleiben weiterhin gültig und anwendbar. Im Warenverkehr mit anwendenden Vertragsparteien hat der Exporteur ein Wahlrecht, das Regionale Übereinkommen oder die Übergangsregeln anzuwenden. Bei Exporten in andere Länder des Paneuropa-Mittelmeerraums ist hingegen nur das Regionale Übereinkommen zulässig. Sinngemäß gilt dies auch für Lieferungen innerhalb der EU, für die Lieferantenerklärungen für Waren mit Präferenzursprungseigenschaft ausgefertigt werden.

Die beiden Systeme der Ursprungsregeln sind allerdings strikt zu trennen. Eine Vermischung ist nicht zulässig – es besteht also keine “Durchlässigkeit” zwischen den Systemen.

Präferenznachweise

Im Hinblick auf Ausfuhren bedeutet diese strikte Trennung der Systeme auch, dass bei der Ausstellung bzw. Ausfertigung von Präferenznachweisen die Anwendung der Übergangsregeln durch den Vermerk “TRANSITIONAL RULES” ausdrücklich angegeben werden muss. Die Übergangsregeln sehen als Präferenznachweise nur noch die Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 bzw. die Ursprungserklärung des Ausführers vor, nicht mehr jedoch die Warenverkehrsbescheinigung EUR-MED und die Ursprungserklärung EUR-MED.

Wurde für eine Exportsendung nach den Bestimmungen des Regionalen Übereinkommens eine “klassische” Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 bereits ausgestellt, so ist es bei Bedarf zulässig, nachträglich für diese Sendung eine Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 mit dem Vermerk “TRANSITIONAL RULES” zu beantragen, wenn die Waren auch einen präferenziellen Ursprung nach den Übergangsregeln besitzen.

Beim Import sind besondere Codierungen für Präferenznachweise auf Grundlage der Übergangsregeln anzumelden: U075 für Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 mit dem Vermerk “TRANSITIONAL RULES“, U076 für Ursprungserklärungen mit dem Vermerk “TRANSITIONAL RULES“.

Zu weiteren Einzelheiten im Hinblick auf die Anmeldung im System ATLAS wird eine gesonderte Information erfolgen.

Auswirkungen auf Lieferantenerklärungen

Die fehlende Durchlässigkeit zwischen den Systemen der Ursprungsregeln ist auch im Zusammenhang mit Lieferantenerklärungen von Bedeutung. Werden innerhalb der EU Vormaterialien mit Ursprungseigenschaft bezogen und als solche im Rahmen des Ursprungserwerbs einer daraus hergestellten Ware berücksichtigt, so ergibt sich aus der zu beachtenden Trennung: Lieferantenerklärungen, die auf Grundlage der Übergangsregeln ausgefertigt wurden, können nicht als ursprungsbegründende Unterlage im Rahmen des Regionalen Übereinkommens verwendet werden. Umgekehrt können Lieferantenerklärungen, die auf Grundlage des Regionalen Übereinkommens ausgefertigt wurden, nicht als ursprungsbegründende Unterlage im Rahmen der Übergangsregeln verwendet werden.

Grundsätzlich müssen in einer Lieferantenerklärung für Waren mit Präferenzursprungseigenschaft nicht nur das Ursprungsland, sondern auch die anwendbaren Präferenzverkehre angegeben sein, in deren Sinne die Waren als Ursprungswaren gelten. Hierfür ist das Feld “… und den Ursprungsregeln für den Präferenzverkehr mit … entsprechen” vorgesehen. Für Waren, deren Ursprung durch Anwendung der Übergangsregeln erworben wurde, ist an dieser Stelle zusätzlich zum jeweiligen Land “TRANSITIONAL RULES” anzugeben. Die Europäische Kommission empfiehlt zudem, bei der Ausfertigung von Lieferantenerklärungen ab dem 1. September 2021 anzugeben, ob ein Erzeugnis die Ursprungsregeln des Regionalen Übereinkommens oder der Übergangsregeln oder beider Systeme erfüllt. Fehlt diese Angabe, so gilt die Lieferantenerklärung nur als Nachweisunterlage im Rahmen des Regionalen Übereinkommens.

Weitere wichtige Regeln

In Anbetracht der Zielsetzung der Modernisierung und Vereinfachung unterscheiden sich die Ursprungs- und Verfahrensregeln der alternativen Übergangsregeln von denen des Regionalen Übereinkommens in vielen Bereichen. Exemplarisch seien die folgenden Punkte der alter-nativen Übergangsregeln hervorgehoben:

  • Beim Ursprungserwerb durch eine ausreichende Be- oder Verarbeitung können der Ab-Werk-Preis und der Wert der Vormaterialien ohne Ursprungseigenschaft ausgehend von Durchschnittswerten berechnet werden, um Kosten- und Wechselkursschwankungen zu berücksichtigen. Diese Durchschnittswertkalkulation (bzw. Durchschnittspreiskalkulation) bedarf jedoch der vorherigen Bewilligung durch das Hauptzollamt, die auf schriftlichen Antrag sowohl Ausführern als auch Lieferanten erteilt werden kann.
  • Für landwirtschaftliche Erzeugnisse ist eine Toleranz von 15% des Nettogewichts des Erzeugnisses, für gewerbliche Waren eine Toleranz von 15% des Ab-Werk-Preises der Ware vorgesehen. Diese allgemeine Toleranz ist weiterhin nicht auf Textilien (Erzeugnisse der Kapitel 50 bis 63 des Harmonisierten Systems) anwendbar. Für diese gelten die speziellen Toleranzen der Einleitenden Bemerkungen zur Verarbeitungsliste.
  • Neben einer eingeschränkten diagonalen Kumulierung (also der Verwendung von Vormaterialien mit Ursprungseigenschaft in den Partnerstaaten) ist bei Erzeugnissen der Kapitel 50 bis 63 des Harmonisierten Systems eine volle bilaterale Kumulierung zulässig, bei anderen Erzeugnissen sogar eine volle diagonale Kumulierung. Bei der vollen Kumulierung können Bearbeitungen berücksichtigt werden, die an Vormaterialien ohne Ursprungseigenschaft in den Partnerstaaten erfolgten. Ursprungsnachweise, die nach Anwendung der Kumulierung ausgestellt oder ausgefertigt werden, müssen grundsätzlich folgende Erklärung in englischer Sprache enthalten: “CUMULATION APPLIED WITH (Name des Landes oder der Länder in Englisch)”.
    Die Vertragsparteien können jedoch entscheiden, auf die Aufnahme dieses Kumulierungsvermerks in den Ursprungsnachweisen zu verzichten. Sofern Vertragsparteien hiervon Gebrauch machen, enthält Artikel 8 Absatz 4 der Anlage A eine entsprechende Fußnote: “Die Parteien vereinbaren, von der Verpflichtung zur Aufnahme der Erklärung nach Artikel 8 Absatz 3 in den Ursprungsnachweisen abzusehen”. Ist diese in der jeweiligen vereinbarten Anlage A enthalten (wie z. B. in Protokoll Nr. 3 EU-Jordanien), entfällt die Verpflichtung den Kumulierungsvermerk in den Ursprungsnachweis aufzunehmen.
  • Ein Verbot der Zollrückvergütung und der Zollbefreiung – das sogenannte Draw-Back-Verbot – gilt grundsätzlich nur noch für Erzeugnisse der Kapitel 50 bis 63 des Harmonisierten Systems.
  • Die bisherigen Bestimmungen zur unmittelbaren Beförderung sind durch die neue Systematik der “Nichtveränderung” (Nichtbehandlung) einer Ware ersetzt worden. Damit soll vermieden werden, dass Erzeugnisse, bei denen kein Zweifel an ihrer Ursprungseigenschaft besteht, von einer Präferenzbehandlung bei der Einfuhr ausgeschlossen werden, weil die formalen Voraussetzungen der Direktbeförderung nicht erfüllt sind.

Quelle: Zoll.de